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Feels like 1970

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Die Botschaft hinter Blitzermeldungen im Radio: Fahr so schnell du willst – aber lass dich dabei nicht erwischen! Tu doch nicht so, du magst es doch auch, leider geil! Wir Fahrer halten alle zusammen, zwinki zwonki! Bin ich der einzige, der dieses mediale Ritual unpassend findet?

Seit meiner Kindheit warnen Radiostationen vor „Flitzerblitzern“. Alberne Reime und verächtliche Claims wie „teure Fotos“ gehören fest zum Jargon.

Und so funktioniert das Game:

Wer von der Kontrolle an der Ecke XY weiß, bremst kurz vorher ab. Und zwar von seinen üblichen 65 km/h innerorts auf 40 km/h (sicher ist sicher) – nur um weiter schnell zu fahren, wenn die „Gefahr“ vorüber ist.

So weit, so normal. Wahrscheinlich fühlen sich die meisten mit dieser Praxis irgendwie „im Recht“. Meine Frage ist: Welche fragwürdige Haltung steckt eigentlich hinter den stündlichen Meldungen?

Wer rast, hat Recht!

Scheinbar wollen uns die Blitzerwarnungen latent mitteilen: Geschwindigkeitskontrollen sind nichts weiter als krude Schikanen, die uns den Spaß am Ausüben unseres angeborenen Rechts am Geschwindigkeitsrausch trüben sollen. Freie Fahrt für freie Bürger – so lautet die irgendwie aus der Zeit gefallene Losung. Sie stammt aus jener übergriffigen Ära des Patriarchats, als man noch jederorts Zigaretten rauchte und Mädels gerne mal unter den Rock griff. Kleine Kavalirsdelikte eben. Shady Gentleman Moves.

Und klar: Schnell fahren als Selbstwirksamkeitsbeweis gehört auch zum Geilfühlen. Guck mal Mama, ohne Hände! Driften im Kies und Gummispuren auf dem Asphalt! Wenn archaische 150 PS am großen Onkel kitzeln, scheint der Tacho herzlich egal. Wer später bremst, fährt länger schnell!

Doch zurück zum Radio: Juristisch sind die Warnungen einwandfrei, denn die Polizei gibt ja selbst ein paar Tage zuvor die Zeit und die Standorte für geplante Geschwindkeitskontrollen ganz offiziell heraus. Weil Geschwindigkeit und Sicherheit ein Thema bleiben soll, sagt die Polizei NRW.

Trotzdem fühlt sich die Sanktion fürs Zuschnellfahren, oft ein Verwarngeld oder ein Bußgeld, für viele als unerträgliches Unrecht und völlig unverhältnismäßig an. Wir sind halt eine Nation der Schnellfahrer, das Tempolimit 130 bekommt in Germany schlicht keine Mehrheit. Alles, was an dieser Freiheit rüttelt, ist schlichte Anmaßung.

Verschwörerisch tut man sich da als Schicksalsgemeinschaft zusammen: „Macht vorsichtig an der Neefestraße, da stehnse widder“, sächselt Ronny durch den Äther. Man erwartet eigentlich noch den Halbsatz „…diese Drecksbullen“, den sich Ronny entweder anstandshalber klemmt oder den die Redaktion feixend wegschneidet. Wir kleinen Leute gegen die da oben!

Also wegen mir, ihr Ronnys, vereinigt euch doch gegen das „Unrecht“ auf Facebook oder so. Aber du, liebes Radio, warum hilfst du 2025 noch mit bei der moralischen Legitimation des Rasens? Selbstreflexion oder so? Mal die alten Muster checken?

Gedankenexperiment: Vorsicht vorm Ladendetektiv!

Nur ums ganz klar zu kriegen – führen wir das Konzept, vor Kontrollen zu warnen, doch mal ad absurdum: „Kurze News für lange Finger“!

Vorsicht: Ladendetektive sind wieder unterwegs im Netto Limbacher Straße und Kassberg-Edeka. Gut informiert ist halb geklaut!

Oder: Heute Kontrolleure in Linie 5 und im Regioexpress nach Zwickau gesichtet. Fahrt dort lieber erst morgen wieder schwarz. Wo habt ihr Kontrollettis gesehen? Petzt es unter 0800 12 12 12!

Klingt fast schon wie eine Einladung zum Gesetzesbruch – genau wie die Blitzermeldungen. Wenn du auf unsere Tipps hörst, kannst du unbehelligt weiter rasen!

Vielleicht ist dieser moralische Abgrund dem Massenmedium aus dem letzten Jahrtausend ja völlig egal. Radio hat seit Spotify und Co. wohl nix mehr zu verlieren – außer vielleicht die Fleppen…