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Von Niners und Primaten

Die Ränge voll besetzt, das Bier schmeckt und die Beats droppen entspannt. Messehalle Chemnitz, die Gegner sind die Skyliners aus Frankfurt. Wow, seit 23 Jahren bin ich Chemnitzer, und erst jetzt besuche ich das erste Mal die Niners. Spoiler: Es soll auch mein letztes Mal gewesen sein.

Grundsätzlich geht es hier erst mal niveauvoll zu: Niemand ist hart besoffen oder benimmt sich daneben. Hools und Pyrotechnik? Fehlanzeige. Stattdessen Einlauf mit Nebel und dramatischer Lichtshow. Die Cheerleader wedeln und wirbeln herum. Gefällt mir.

Doch mit dem Tip-Off beginnt die skurrile Parallelwelt: Basketball bleibt trotz aller szeniger Kultur ringsherum halt doch ein Mannschaftssport, und beim Mannschaftssport offenbart sich der Primat. Er ist parteiisch, patriotisch und primitiv.

Da kommen Top-Athleten aus Frankfurt in die Kulturhauptstadt und bekommen einfach mal keinen Respekt gezollt. Keine Sau klatscht, wenn die Skyliners ’nen Korb landen, selbst bei Wahnsinnsdreiern aus der anderen Spielfeldhälfte. Ich komme mir in der ignoranten Masse total komisch vor. Wenn mir die Vor-Band nicht gefällt, applaudiere ich doch trotzdem. Aus Anstand. Stellt euch mal vor, die Skyliners wären heute nicht extra nach Chemnitz gekommen. Eure Niners würden wie der verrückt gewordenen Löwe im Gehege immer im Kreis laufen und ihr hättet keine geile Show.

Der Gästeblock ist aber auch gespenstisch leer geblieben. Niemand, aber wirklich niemand unterstützt die Frankfurter. Dafür können die Chemnitzer Fans freilich nix, aber durchaus für andere grobe Unsportlichkeiten:

Bei Freiwürfen tröten die Fans auf ihren Fahrradhupen, um die Konzentration zu stören. Einzelne Spieler wie der unbeliebte Jordan Theodore werden schlicht ausgebuht, wenn sie am Ball sind. Was ist das für ein Sportsgeist, wo ist da der Respekt? Muss für euren Spaß am Spiel der Gegner unbedingt degradiert werden?

Und jetzt alle: 🎶 So gehen die Gauchos 🤦🏻

Zum Vergleich: Bei Battles und Jams in der irgendwie Basketball-verwandten, straßigen Hip Hop-Kultur, also auf dem Board oder beim Breakdance, klopft man sich doch auch auf die Schulter, egal auf welchem Platz die Kontrahenten landen. Jeder hat grundsätzlich erst mal Respekt verdient, und jeder, der etwas außergewöhnliches kann, auch Applaus.

Nun hat Basketball wenig mit Kunst oder Ausdruck zu tun. Dafür, dass sich die Niners aber so stark mit Vielfalt und Fairness identifizieren, könnten die örtlichen Fans die gegnerischen Gäste durchaus besser behandeln.

Apropos örtlich, nur 4 von 14 Spielern stammen aus dem Chemnitzer Nachwuchskader. Der Rest ist aus aller Welt zusammengecastet wie im fucking Profi-Fußball. Diese Art von Fake-Lokalpatriotismus werd ich wohl nie auf die Kette kriegen. Ein bisschen merkt es der Verein ja selber: Per LED-Screen sollen neue Kinder rekrutiert werden. Wenn man irgendwann nur noch von woanders einkauft, wird’s irgendwann unglaubwürdig.

Es kommt, wie es kommen soll: Die Chemnitzer dribbeln die Gäste hart aus und sollen an diesem Samstag mit bequemen 19 Punkten Vorsprung gewinnen. Kein Wunder, wenn dich keiner mag, performt sich’s halt schlecht. Der Rest ist pure Psychologie.

Ich hoffe, die Frankfurter Jungs sind abgebrüht genug, diesen Spießrutenlauf wegzustecken. Werden sie weinen, im Bus zurück an den Main?

Und was ist mit mir und meinem traurigen Pädagogenherz, dem immer daran gelegen ist, dass es allen gut geht?

Insgeheim hatte ich die Hoffnung, dass Basketball irgendwie nett ist.

Blubb, Seifenblase geplatzt. 🫧